Sprache verändert sich ständig, jedoch nicht für jeden in derselben Geschwindigkeit. Es kann daher vorkommen, dass zwei Menschen zwar dasselbe Wort verwenden, aber jeweils etwas anderes damit ausdrücken möchten.
Es gibt aber auch Wörter, deren Bedeutung sich nicht verändert, die jedoch irgendwann einfach nicht mehr verwendet werden, beispielsweise weil das, was sie beschreiben, nicht mehr existiert.
Die Veränderung von Wortbedeutungen und der Wegfall von einst allgemein verständlichen Begriffen führen teilweise zu komischen, leider aber auch zu tragischen Missverständnissen.
Im Vorfeld der gerade zu Ende gegangenen Konferenz „Unum“, die in München stattfand, gab es ein trauriges Missverständnis. Zufällig fand in der Stadt zur gleichen Zeit der „Christopher Street Day“ statt. Dessen Organisatoren wurden auf die Unum aufmerksam und vermuteten, dass die Konferenz als Gegenveranstaltung zum CSD gedacht war. Ich gehörte zum Trägerkreis der Unum und weiß, dass den Hauptinitiatoren überhaupt nicht bewusst war, dass der CSD zeitgleich stattfinden würde - die Konferenz wurde einfach auf einen freien Termin der Olympiahalle terminiert. Ursprünglich sollte sie sogar bereits 2021 stattfinden, musste aber wegen der Pandemie verschoben werden.
Tragisch ist, dass die Veranstalter des CSD die ökumenische Konferenz als feindlich einstuften. Ich habe die entsprechenden Veröffentlichungen gelesen und war beeindruckt, mit welcher Akribie zu jedem Einzelnen (!) der Veranstalter und des Trägerkreises Informationen gesammelt wurden, die belegen sollten, dass diese Menschen beispielsweise einen Gottesstaat errichten wollen, am rechten politischen Rand stünden und zudem antisemitische Tendenzen hätten.
An dieser Stelle kommt neben anderem wieder die sich verändernde Sprache ins Spiel. Einer der Hauptgründe, die schließlich zum Verdacht der radikalen Machtübernahme übereifriger Christen führte, war das Wort „Reich“. Ich kann das sogar nachvollziehen. Christen wissen, dass Jesus Christus gekommen ist, um das „Reich Gottes“ zu verkünden. Diesen Begriff verwendete er häufig, er war ein wesentlicher Bestandteil seiner Predigt. Für die augenblicklich wachsende Zahl der Menschen in unserem Land, die ohne Bezüge zum christlichen Glauben aufwachsen, hat der Begriff „Reich“ jedoch eine ganz andere Bedeutung. Sie verbinden ihn beispielsweise mit der Zeit und Ideologie der Naziherrschaft oder mit den sogenannten Reichsbürgern. Wenn sie dann auf Webseiten der die Unum unterstützenden Gemeinden und Werke Aussagen entdecken, in denen von „der Ausbreitung des Reiches Gottes“ oder von „geistlicher Landnahme“ die Rede ist, dann muss es fast zwangsläufig zu Irritationen kommen.
In der Auflistung der oben erwähnten Unterstützer der Unum seitens der CSD-Veranstalter wurden Aussagen aufgeführt, die unsere Geisteshaltung belegen sollten. Auch über mich wurde geschrieben und auch ich wurde zitiert. Ich muss sagen: Meine Worte - die allerdings an einen bestimmten Kreis von Personen gerichtet waren - können für Menschen weit außerhalb dieses Kreises tatsächlich ziemlich schräg klingen. Dass dann noch ein Artikel von mir auf der Webseite eines katholischen Nachrichtenportals gefunden wurde, welches den CSD-Rechercheuren als politisch dem rechten Spektrum nahestehend erschien, brachte mir gleich zwei Minuspunkte ein.
Ich versuche aus dieser Erfahrung zu lernen. Meine Veröffentlichungen im Netz sollten möglichst allgemein verständlich sein, allerdings ohne dass ich Fachbegriffe meines „Fachbereichs“ ganz weglassen müsste. Deshalb sollte ich einer möglichen Leserschaft verständlich machen, was ich mit den "Fremdworten" meine. Der Zeitpunkt passt, denn wir arbeiten im Gebetshaus gerade an einer neuen Webseite.
Was mich allerdings traurig macht ist, dass sehr schnell Feindbilder errichtet werden, die teilweise ziemlich an der Realität vorbeigehen. Es wird leider viel zu wenig nachgefragt, was denn gemeint ist, wenn z.B. vom Reich Gottes die Rede ist. Ich würde einen Verständnisdialog begrüßen, der dann ermöglicht, auch über inhaltliche und kontroverse Themen zu sprechen.
Ich vermisse die, insbesondere von der politisch Linken geforderte Toleranz, wenn es darum geht Menschen mit anderen Werten und Lebenskonzepten als den eigenen gegenüber ebenfalls tolerant zu sein. Es entsteht der Eindruck, dass man heute alles sein darf, außer ein bekennender und zu den Aussagen der Bibel stehender Christ.
Die linke Politikerin Sahra Wagenknecht hat diesbezüglich an verschiedenen Stellen die eigenen Reihen stark kritisiert. Dem Linksliberalismus wirft sie eine ausgeprägte Intoleranz vor.
Ich beobachte, dass auch eine offene Diskussion nicht mehr selbstverständlich ist. Während lautstark nach "Meinungsfreiheit" gerufen wird, wird gleichzeitig schon definiert, für wessen Meinung dies nicht gilt. Während es für alle möglichen Parteien, Institutionen und Vereine selbstverständlich ist, „Überzeugungsarbeit“ zu leisten, wird Christen dieses Recht zunehmend abgesprochen, denn zu missionieren ist ja ein Unding. Mit diesem Vorgehen wird ein bestimmtes Wort dazu verwendet, andere ins Abseits zu stellen, während man selbst exakt dasselbe tut - aber dafür einfach einen anderen Begriff verwendet.
Ja, ich darf niemanden dazu zwingen, meine Überzeugungen zu übernehmen, aber ich möchte auch die Freiheit behalten dürfen, gemäß meiner Überzeugungen leben und mich äußern zu dürfen. Und weil ich meine Überzeugungen überzeugend finde, spreche ich natürlich gerne darüber, durchaus in der Hoffnung, dass andere diese Überzeugungen ebenfalls überzeugen.
Mein Fazit dieses ausnahmsweise längeren Impulses lautet:
Wir müssen sprachfähig werden - und zwar alle Seiten. Zu sprechen verbindet, es baut Hindernisse ab und schafft Beziehung.
Und nein, ich mag das Lebenskonzept nicht, für dass der CSD steht. Meiner Überzeugung nach ist es aus verschiedenen Gründen nicht hilfreich. Aber deswegen lehne ich noch lange nicht die Menschen ab, deren Überzeugung den meinen entgegengesetzt ist. Ich habe Interesse an ihnen. Dialog und Beziehung ist immer möglich.
Zusammengefasst lässt sich das oben Geschriebene mit den Worten einer Freundin zusammenfassen, die ich öfters zu ihrem Partner habe sagen hören: „Wir müssen reden!“
Alles Liebe. Rainer
Gut analysiert, lieber Rainer. Babylonische Sprachverwirrung hat sicherlich einen Teil dazu beigetragen, dass man sich gegenseitig nicht mehr hinterfragt, sondern glaubt zu wissen, in welche Schublade man den anderen stecken kann, ohne mit ihm zu reden. Und Feindbilder zu erfinden, scheint auch cool zu sein, da es die eigene Gemeinschaft zusammenschweißt... - Irgendwie ist das ganze schon ziemlich lächerlich, wenn es nicht so traurig wäre...
Dass UNUM und CSD zeitgleich stattfanden, war sicher ein "Zufall" in dem Sinne, dass es menschlicherseits nicht geplant war. Aber Gott hat das natürlich gewusst (vielleicht sogar beabsichtigt?) und genutzt, um zumindest einige Menschen zu erreichen und einen Dialog zu ermöglichen, wie in diesem Bericht zu sehen: https://youtu.be/3v8xz-L9E_8