Ich will niemanden langweilen, aber wer meinen Blog abonniert hat, der weiß, dass ich darin persönliche Gedanken teile und über Themen schreibe, die mich beschäftigen.
In diesem Artikel geht es deshalb noch einmal darum, wie es für mich ist, älter zu werden.
Wenn du unter Vierzig bist, kannst du jetzt also entweder weiter scrollen oder einen Blick auf Gedanken werfen, die in deiner eigenen Zukunft relevant werden.
Früher fuhr ich gerne Enduro. Ich liebte beispielsweise die wilden Ritte im naheliegenden Elsass, wo man Strecken fand, auf denen ich mich und meine kleine Maschine so richtig ausreizen konnte. Blessuren, Dellen oder auch mal eine verbogene Vordergabel gehörten ebenso dazu wie der Kick bei Sprüngen oder auf besonders gefährlichen Streckenabschnitten. Mal fühlte ich mich als Herr über die Kraft der Maschine, dann - wenn ich im Staub lag - wieder, als hätte mich ein wild gewordenes Pferd abgeworfen.
Dieses Bild kam mir vorhin, als ich im Schatten auf einem bequemen Stuhl, mehr liegend als sitzend über mein Altern nachdachte. Noch immer liebe ich die schnelle Fahrt durch mein Leben, die unvorhergesehenen Abschnitte, die Sprünge und den Wettkampf. Aber meine „Maschine“ ist nicht mehr ganz so geschmeidig und reaktionsschnell, wie sie es früher war. Die Höchstgeschwindigkeit hält sie nicht mehr so lange aus wie damals, die Federung ist weicher geworden, die Landungen nach einem Sprung fühlen sich härter an, das Fahrgestell quietscht hier und da. Spaß macht es trotzdem, ich muss mir nur etwas mehr Zeit für Wartung und Pflege nehmen.
Mein Team besteht aus mir und meiner Frau, die mich auf allen Rennen begleitet und deren Unterstützung und Rat mir zu manchem Sieg verholfen und mich vor manchen Stürzen bewahrt hat. Neulich sagte sie zu mir: „Du kommst von der Arbeit, ziehst dich um und gehst an das nächste Projekt im Garten. Danach bist du dann total k.o.“ Sie hat es wieder einmal geschafft, mich zum Nachdenken anzuregen. Gerade erst habe ich über mehrere Tage ein cooles Schaukel- und Klettergerüst für meine Enkel aufgebaut, nicht, ohne es um zusätzliche Features zu erweitern. Der Lohn des Rufs „Opa, ich bin ganz oben“ ist den Schweiß wert gewesen. Davor habe ich eine große Holzterrasse gebaut, vor einer Weile eine automatische Bewässerung, für die ich ungezählte Meter an Rohren verbuddeln musste. Den Bau der Grillstelle, den Standplatz für eine Bank, die Umgestaltung des Holzschopfs und die „ganz normale“ Gartenarbeit erwähne ich nur am Rande.
Ich liebe Projekte, ob im Gebetshaus (meine Kollegen fürchten das Ideenfeuerwerk manchmal) oder Zuhause (meine Frau hat dann diesen speziellen Ausdruck im Gesicht, wenn ich sage, ich hätte da eine Idee…).
In den letzten zwei Jahren stelle ich jedoch fest, dass ich nicht mehr so viel zu leisten vermag wie vorher. Ich habe zwar - um im obigen Bild zu bleiben - nicht vor, meine Enduro gegen ein elektrisches Einkaufsdreirad einzutauschen, aber ich muss einen Gang runterschalten - oder zwei. Deshalb will ich Ende November zum ersten Mal eine Auszeit von drei Wochen machen. Irgendwo, wo es schön ist und ich auftanken kann (vielleicht hast du eine Idee?).
Das „Runterfahren“ fällt mir nicht so leicht, aber es ist wichtig. Ja, es gibt so viele coole Projekte, Möglichkeiten und auch Notwendigkeiten. Aber ich muss mich davon verabschieden, dass ich jedes Projekt werde umsetzen können, jede Möglichkeit beim Schopf ergreifen und jede Not wenden kann.
Ich übe also. Wo muss ich nein sagen? Was tue ich vielleicht nur aus dem Motiv heraus, Bestätigung zu bekommen? Welches Projekt sollte ich lieber lassen?
Gestern las ich einen Artikel über die langjährige Bundestagsabgeordnete der Grünen , Renate Künast. Sie ist mir altersmäßig ein paar Jahre voraus und bereits an dem Punkt, wo sie ihre Maschine gegen ein deutlich langsameres Gefährt eintauscht. Manche ihrer Überlegungen sind mir ein weiterer Gedankenanstoß. Sie spricht davon, dass nach ihrer Entscheidung, nicht mehr zu kandidieren, ihre innere Anspannung nachgelassen hat. Sie hat ebenfalls keine Lust mehr auf lange Arbeitswochen mit vielen Sitzungen und Bürokratie. Die frühere Agrarministerin gibt aber auch zu, dass ihre Entscheidung von Zweifeln begleitet war:
„Mal sehen, wie es sich dann anfühlt. Ich werde mir die Politik abtrainieren müssen wie ein Hochleistungssportler. Kann ich damit umgehen, dass mich kein Schwein mehr anruft?“
Sie hat aber auch noch Ideen, wie sie sich in Zukunft engagieren und ihre Erfahrungen anderen zugute kommen lassen kann.
Meine Gartenstuhl-Meditation schenkt mir Frieden. Ich habe keine Torschlusspanik und hadere auch nicht mit der Zahl meiner Lebensjahre. Mir ist aber bewusst, dass meine Fahrt durchs Leben nach und nach langsamer werden darf, ja, sogar muss. Noch ist viel Energie im Tank, aber ich denke, sie sollte so eingesetzt werden, dass sie für mehr als ein paar kurze Sprints ausreicht.
Das Schöne an der Entschleunigung ist: Ich sehe viel mehr.
Alles Liebe. Rainer
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Bild: Christine Sponchia, Pixabay
Danke, lieber Rainer, für dein Teilhabenlassen an den Themen dieser Lebensphase. Ich habe den Eindruck (ich bin dir in dieser Phase ein Jahr voraus), dass es für eine Zeit wie diese ganz bestimmte Aufgaben gibt, in die wir von Gott gestellt werden, und für die die himmlische Versorgung bereitgestellt wird. Hier laufen wir und werden nicht matt, hier fahren wir auf mit Flügeln wie Adler. Es gilt, unseren Platz nah an Seinem Herzen einzunehmen, den wir hoffentlich in den letzten Jahrzehnten entdeckt und bewohnt haben. Dort hören wir, was für uns ist. Und dann können wir loslegen, mit welchem Gefährt auch immer und in einer Kraft, die vielleicht nicht altersentsprechend aussieht. Spaß inbegriffen!